Jedes Jahr steht man als Radfahrer vor dem gleichen Konflikt: was tun, wenn das Wetter schlechter und die Tage kürzer werden? Klar, die abgehärteten Allwetterfahrer hätten als Erstes eine Antwort parat: mit richtiger Beleuchtung, wasserdichten Klamotten und gutem Fahrrad geht alles! Aber seien wir mal ehrlich: die Mehrheit ist nicht so wetterfest. Sonst würde sich eine neuartige Form des Fahrradfahrens nicht so viel Beliebtheit erfreuen: Zwift.
Text: Jana Zoricic / Bilder: Zwift
Pro- und Kontra-Diskussionen zu Indoor-Training gibt es wie Sand am Meer, dafür sind wir nicht hier. Stattdessen wollen wir uns lieber zwei Blickwinkel anschauen, die zwei komplett unterschiedliche Erfahrungsstufen mit Zwift haben: unsere Redakteurin Jana besitzt nicht mal einen Heimtrainer, findet aber alles rund um digitales Training spannend. Bei Peter sieht das anders aus: Zwift gehört bei ihm zum Winter dazu, wie Mütze und Neoprenüberzieher. Was sind ihre ersten Gedanken, wenn sie den Begriff „Zwift“ hören?
Was ist Zwift?
Zunächst müssen wir erstmal klären, was ist Zwift überhaupt? Zwift ist in erster Linie eine Trainingsplattform für Indoor-Radsport, welche es einem ermöglicht — ähnlich wie in einem Computerspiel – durch virtuell geschaffene Welten zu fahren. Seit letztem Winter bietet Zwift daneben auch die Möglichkeiten für Indoor-Laufsport. Installiert auf einem Rechner oder iPhone/ iPad und verbunden mit einer Rolle oder einem Laufband wird im Keller, Wohnzimmer oder Fitnessstudio durch Zwift aus dem „auf der Stelle fahren“ oder „die Wand anstarren“ eine ganz eigene Art von Sport.
Die Technik
Bevor wir euch sagen, was ihr für Zwift braucht, zunächst ein paar Worte, wie Zwift funktioniert. Zwift basiert auf folgendem Grundprinzip. Je stärker wir in unsere Pedale treten, desto schneller fahren wir in der virtuellen Welt. Hier greift Zwift auf Watt-Werte zurück, die von einem Powermeter oder einem Smarttrainer gemessen werden oder schätzt unsere Leistungswerte anhand der Umdrehungsgeschwindigkeit des Hinterrads. Diese Leistung setzt Zwift ins Verhältnis zu unserem Körpergewicht, welches wir im angelegten Profil angegeben haben und errechnet die Geschwindigkeit nach folgender Formel:
Leistung / (Körper-)Gewicht = w/kg = Geschwindigkeit
Machen wir ein Bespiel: Jana wiegt 56 kg und tritt 140 Watt (w). Sie hat damit eine w/kg-Leistung von 2,5 und fährt bei Zwift auf der flachen Strecke ca. 30 km/h. Peter fährt bei 70 kg mit 170 w und damit mit einem w/kg-Leistung von 2,5 ebenfalls ca. 30 km/h. Je Steigung bzw. Gefälle variiert die Geschwindigkeit entsprechend des w/kg-Verhältnisses. Fährt Jana bei Peter im virtuellen Windschatten, reicht ihr sogar ca. nur eine Leistung von rund 2,0 w/kg. Denn Zwift kennt „Windschatten fahren“.
Was man für Zwift braucht?
Um in Zwift fahren zu können, benötigen wir also eine gemessene oder geschätzte (Watt-)Leistung und einen mit der Leistungsquelle verbundenen Computer, auf dem Zwift installiert ist. Zwift funktioniert auch auf älteren oder einfachen Notebooks – je besser die Hardware, desto schöner wird jedoch die Landschaft. Neben einem Rechner brauchen wir noch etwas Fahrbares, auf dem wir strampeln können. Hier besteht eine Fülle von Möglichkeiten, damit unsere erzeugte Leistung in Zwift übertragen wird. Denn um sich dies besser vorstellen zu können, haben wir hier drei kleine Beispiele für euch.

- Jana hat eine einfache Rolle zu Hause und keinen Powermeter am Rad. Ihr reicht ein Geschwindigkeits- und Trittfrequenzsensor, welcher am Hinterrad die Geschwindigkeit des Hinterrads misst und per ANT+ oder Bluetooth-Signal an Zwift sendet. Zwift schätzt aufgrund der Geschwindigkeit des Hinterrads, wie viel Leistung sie erbringt und überträgt diese in die virtuelle Welt.
- Ihr habt eine einfache Rolle zu Hause und aber einen Powermeter am Rad. Ihr verbindet euren Powermeter per ANT+ oder Bluetooth mit Zwift und übertragt so eure Leistungsdaten.
- Ihr habt einen „smarten“ Heimtrainer, welcher eure Leistung misst und per App oder PC gesteuert werden kann.
Was bietet Zwift?
Nach der Einrichtung könnt ihr die virtuellen Landschaften von Zwift im sogenannten freien Training erkunden. An Kreuzungen könnte ihr euch per Pfeiltasten auf der Tastatur für die weitere Route entscheiden oder vorgeschlagene Routen abfahren. Nicht jeder Streckenabschnitt ist von Anfang abfahrbar, sondern lässt sich erst mit der Zeit bzw. den bereits zurückgelegten Kilometern freischalten.
Neben dem freien Training habt ihr die Möglichkeit an Gruppenausfahrten und Rennen teilzunehmen. Zwift ermöglicht auch Trainingsprogramme nach eigenen Vorgaben selbst zu erstellen und (im ERG-Modus) abzufahren. Wer möchte, kann jedoch auch einen vorgegebenen Trainingsplan nehmen und Woche für Woche die Trainingsinhalte umsetzen.
Jana’s Gedanken – verschenke ich Potenzial?
Das erste Mal davon gehört habe ich im Zusammenhang mit Watttraining. Davor wusste ich nicht mal, dass Wattzahlen für Radfahrer überhaupt existieren – oh, wie unwissend ich war. Doch unsere Expertin Mareen hat uns erklärt wie viel effizienter Training mit verschiedenen Wattstufen ist und wie man damit Trainingsfortschritte deutlich besser messen und erreichen kann. Ja aber wie misst man Watt, wenn man keinen Hometrainer hat? Mit einem Smarttrainer oder Pedalen, die Watt messen können. Einige Rennradprofis kriegen dank smarter Pedale sogar während des Rennens ihre Wattzahlen mitgeteilt, um ihre Kräfte besser einteilen zu können oder Sprints zu planen.

Aber was bringt das uns Normalos? Zwift! Mir eröffnete sich eine völlig neue Welt, die zum einen große Faszination in mir auslöste, aber zum anderen auch viele Fragen. Macht es Spaß auf einen Bildschirm zu gucken und sich die Strecke vorzustellen? Wie fühlt sich so ein virtuelles Rennen an? Ist man wirklich motivierter? Sprintet man schneller? Ist es anstrengender oder leichter, so ohne Fahrtwind? Wie viel fitter fühlt man sich, wenn man wieder draußen fährt?
Mittlerweile ist ein Jahr vergangen, wir sind mitten im Winter und ich konnte mir keine dieser Fragen beantworten, denn ich besitze immer noch keinen Hometrainer, mit dem ich es ausprobieren könnte. Stattdessen habe ich mir eine Regenjacke und warme Unterwäsche gekauft, weil das besser in mein Budget gepasst hat.
Aber die Faszination ist immer noch da. Mittlerweile trainieren etliche Profis im Winter mit Zwift und Allroundtalent Mathieu van der Poel ist das neue Gesicht von Zwift (ich oute mich hiermit als MvdP-Fan) geworden. Es wird sogar bald eine offizielle UCI E‑Sports WM auf Zwift geben. Das Konzept scheint also aufzugehen.

Da frage ich mich natürlich: was wäre, wenn ich endlich so richtig fit werden könnte, weil ich dann praktisch jeden Tag zu Hause aufs Rad steigen kann? Es gibt sogar Trainingspläne für die verschiedensten Ziele. Dem stehen nur zwei Probleme im Weg: der Platz für einen Hometrainer inklusive Rad sowie der Hometrainer an sich.
Die Neugierde ist immer noch groß, die Liste der Fragen lang. Mir bleiben am Ende also nur zwei Möglichkeiten: ausprobieren oder lassen. Vielleicht sollte ich meinen Budgetplan für den nächsten Winter überdenken.
Peter’s Gedanken – gegen Monotonie und für die Gesundheit
Als Radprofi hatte ich das Glück in den Wintermonaten regelmäßig in milderen Gefilden zu trainieren und war nur begrenzt auf Rollentraining angewiesen. Und wenn es auf die Rolle ging, dann standen meist Intervalle oder Leistungstests auf dem Programm. Somit hat sich meine Begeisterung für Rollentraining lange Zeit in Grenzen gehalten. Lieber bin ich bei Regen oder Schnee tagsüber auf die Straße gegangen. Mit dem Ende meiner aktiven Radsportzeit bin ich jedoch schnell auf Zwift gestoßen und mittlerweile beinahe von Anfang an dabei. Ich nutze die Software in erster Linie, um die Monotonie des Rollentrainings abzumildern. Denn Rollentraining kann mit der Zeit – so effektiv es auch ist – ziemlich schnell ziemlich langweilig werden.
Anfangs habe ich eine normale Rolle mit manueller Magnetbremse verwendet und meinen am Rad montierten Wattmesser per ANT+ USB-Stick mit Zwift verbunden. Mit Freunden habe ich mich dann anstatt mit Licht in der winterlichen Dunkelheit nun entspannt am späten Nachmittag in der virtuellen Welt verabredet, nach dem Motto: „Mittwochs, 17 Uhr, Start/Ziellinie, Kurs richtig rum“. Und los ging’s!

Nach einigen Wochen wurde Zwift dann – dank Notebook – auf den großen Fernseher übertragen und seither fahre ich in dem Setup. Nur die einfache Rolle ist vor 3 Jahren einem Smarttrainer gewichen, womit die Steigungen und Gefälle der virtuellen Straßen simuliert werden und ein realistischeres Fahrgefühl entsteht. Jahr für Jahr entdecke ich neue Funktionen, die ich in meinen Trainingsplan einbaue. Mal absolviere ich von mir erstellte Trainingsprogramme, welche mein Trainer mir aufgibt. Mal fahre ich ein 40 — 60min Rennen und schaue, wie mein Trainingsstand ist. Aber gerade an Regentagen setze ich mich nach getaner Arbeit manchmal einfach nur auf die Rolle und fahre eine der mittlerweile zahlreichen Runden in einer der Zwiftwelten ab.

Zwift hat mir jedoch auch nach einem schweren Unfall enorm geholfen. Mit Beginn der Reha habe ich die Freigabe bekommen mein gebrochenes Bein teilzubelasten und auf der Rolle zu fahren. So habe ich anfangs – zugegeben sehr – langsam an einem Tag einen Kilometer in Zwift zurückgelegt. Am nächsten waren es zwei Kilometer. Aus wenigen Kilometern erwuchs die Herausforderung den kürzesten Rundkurs zu schaffen. Mit der Zeit kam dann der eine und der andere Streckenabschnitt hinzu, bis ich am Ende den Alpe’d’Zwift gefahren bin, welcher eine virtuelle Kopie von Alpe’d’Huez ist.
Für mich ist Zwift ein idealer Begleiter in der Winterzeit – und nach meinem Eintritt in das Berufsleben – nicht mehr wegzudenken.
Und was denkst du, wenn du Zwift hörst?