Am zweiten Tag war Kristina sich sicher, das macht sie nie wieder. Doch kaum war diese Odyssee von einer Reise beendet, schmiedete sie schon die nächsten Pläne. Ein Phänomen, von dem man öfter nach solchen Abenteuern liest. Aber warum? Mit Kristinas Geschichte versuchen wir eine Antwort darauf zu finden.
Text: Jana Zoricic / Fotos: Kristina Jordan
Es begann (wie immer) mit einer simplen Idee: mit dem Fahrrad irgendwo hinfahren. Unsere Kollegin Kristina hat sich dann das Headquarter von WTB in Pilsen (Tschechien) als Ziel gesetzt. Wie kommt man auf so eine Idee? Meine Vermutung sieht folgendermaßen aus: Kristina ist eigentlich Triathletin, kennt sich also mit Dauerbelastung sehr gut aus.
Seit sie aber bei Sport Import arbeitet, wurde sie sehr schnell vom Gravel-Virus angesteckt und das Triathlon-Rennrad musste einem Gravel-Bike weichen. Das perfekte Fortbewegungsmittel um das Ammerland zu erkunden, denn für Mountainbikes ist es dort zu flach.
Kristinas Wunsch nach Abenteuer war damit aber noch nicht gestillt, also musste die nächste Herausforderung her. Kombiniert mit einem Ziel, war die Idee geboren! Soweit, so gut.

Die nächste Bedingung sollte sein, so spontan wie möglich zu sein. Bei ihrer letzten Fahrrad-Reise hat sie für jeden Tag eine Unterkunft gebucht und sich damit unnötig Stress ans Bein gebunden. Das sollte diesmal anders sein: das Einzige, was feststand, war die Route zum Ziel, inklusive Zwischenstopps bei Freunden und Familie. Nichts soll vorgegeben sein und Kristina war ihr eigener Chef. Terminstress gabs im Alltag schon genug.
Wer hätte denn ahnen können, dass das Wetter genauso spontan sein könnte, wie Kristinas Plan?
Beim Packen passierte der Klassiker: viel zu viel eingepackt, Fahrrad viel zu schwer. Zum Glück bekam sie an der zweiten Zwischenstation Besuch von Zuhause, der ihr unnötigen Ballast wieder abnehmen konnte. Hätte sie mal Paul Erringtons Tipps zum Thema Bikepacking gelesen!

Hier die endgültige Packliste: T‑Shirt, 3 Paar Merinosocken, 2 Radhosen, 2 Trikots, Armlinge, Beinlinge, Radjacke, Regenjacke, MTB-Shorts, Helm, Mütze, Zahnbürste, Duschgel, Wechselschuhe, Minizelt, Campingkocher, Kartusche, Geschirr, Matratze, Schlafsack, Ladekabel, Powerbank.
Gewicht: ca. 27 kg
Und so zog es sich durch die ganze Reise, Kristina wurde mit einer Herausforderung nach der anderen konfrontiert – und das eine Woche lang.
Logbuch der Widrigkeiten
Tag 1: Regen & Plattfüße
Start war eigentlich um 9 Uhr morgens, doch es hat den ganzen Tag geregnet, also war Start erst um 13 Uhr. Auf dem Lenker hatte sie ein Paket, das sie die ersten 20 km rumschleppen musste, weil die Post auf dem Dorf geschlossen hatte.

Absoluter Tiefpunkt: Der erste Plattfuß schon nach 30 km. Dank Tubeless war das Loch aber schnell wieder zu und der Reifen musste nur wieder aufgepumpt werden.
Tag 2: der ultimative Downer
Ziel: Göttingen. Es regnete in Strömen und der Gegenwind war unerträglich. Dazu kamen die ersten Höhenmeter. Bei Kilometer 100 kam der absolute Tiefpunkt: Sie hätte am liebsten das Fahrrad in die Ecke geschmissen und dachte „du hast 1 1/2 Wochen Urlaub, fährst bei dem beschissensten Wetter durch die Bundesrepublik. Warum bist du nicht einfach zuhause geblieben?“
Aber umdrehen und aufgeben war für Kristina keine Option. Das Ziel war Pilsen und es war egal, wie sie dort ankam.
Am Ende des Tages war Kristinas Licht kaputt, ihre Klamotten durchnässt und der Campingplatz kurz vor Göttingen lag auf einem Berg, neben der Autobahn und sie war ganz allein. Schlafen war mehr Herausforderung als Erholung.

Absoluter Tiefpunkt: nasse Klamotten, unfreundliche Mitarbeiter und kein Frühstück.
Tag 3: Planänderung in Göttingen
Gezwungener Pausentag, denn so konnte es nicht weitergehen, also wurde ein neuer Plan geschmiedet. Sollte das Wetter nicht besser werden, würde Kristina bis nach Gera mit dem Zug fahren. Doch das Wetter sollte besser werden und Kristina plante mit dem Pressedienst Fahrrad eine schöne Route entlang des Werratals.
Absoluter Tiefpunkt: Pausentag in einer gruseligen Unterkunft, Polizeieinsatz bei McDonalds.
Tag 5: nächtliche Schreckmomente
5 Uhr morgens in Eisenach, jemand versucht die Tür ihres Zimmers zu öffnen. Sie wacht von den Geräuschen auf und läuft vorsichtig zur Tür, nachdem sie eine Frauenstimme gehört hatte. Es stellte sich heraus, dass der Besitzer die Schlüssel zu den Zimmern vertauscht hatte. Dieser Moment war der einzige, der Kristina wirklich Angst eingejagt hatte.
Tag 7: Sturmvorhersage
Nachdem Kristina bei ihrer Familie in Gera angekommen war, blieb ihr keine andere Wahl, als nochmal den Zug zu nehmen. Denn es war ein schwerer Sturm vorausgesagt, der Fahrradfahren extrem gefährlich gemacht hätte.

Endspurt: Kampf gegen die Höhenmeter
Kristina dachte, dass mit dem Anstieg nach Karlsbad die meisten Höhenmeter ihrer Reise geschafft wären, doch da hat sie nicht mit ihren Reisebegleitern von WTB gerechnet, die das letzte Stück von Karlsbad bis Pilsen mit ihr fuhren. Die Route war zwar landschaftlich schön, doch die Anstiege angsteinflößend.

Dazu kam strömender Regen und Kristina wusste nicht, wie sie das schaffen soll – doch ihre Begleiter haben sie erfolgreich abgelenkt, ihr sogar ihr Gepäck abgenommen und so lange mit ihr geredet, bis auch der letzte Anstieg geschafft war.
Und warum das Ganze?
Man merkt, wie sich der Körper verändert, wie man mental und körperlich stärker wird, wie man trotz müden Beinen und nassen Socken einfach weitermacht.

Dann bleibt man stehen, schaut sich um und merkt erstmal, wie wunderschön die Natur ist. Wie viele schöne Ecken Deutschland hat – obwohl man ja eigentlich immer woanders hin will, gibt es so viel.
Allein das Erzgebirge und der Grenzübertritt nach Tschechien war trotz aller Höhenmeter und nassem Wetter das schönste, was Kristina je gesehen hatte. Alle paar Meter blieb sie stehen und konnte nicht anders, als die Aussicht zu genießen.



Dort hat sie gemerkt, wie schön die einfachsten Dinge sein können. Sie hat Menschen getroffen, mit denen sie sich über ihr Fahrrad unterhalten hat, alte Freunde wiedergesehen und konnte tief in sich hineinhorchen. Sie hat gemeinsam mit Kollegen die letzten Berge erklommen und bedingungslose Unterstützung erfahren.
Angekommen am Ziel war das Gefühl der Vollbringung überwältigend. Der Anblick des WTB Büros machte Kristina erstmal klar, wie viele Widrigkeiten sie erfolgreich gemeistert hatte.
Und in diesem Moment war klar: Das muss wiederholt werden. Wo fahren wir als Nächstes hin?