Mein „dicker“ Kumpel Jan hatte schon viele Zweiräder ausprobiert: Hollandrad, Stadtrad, Cruiser, Trekkingrad, Klapprad, Hardtail, Fully und Roadbike. Nur ein Gravelbike gab es (noch) nicht.
Immer war er, Jan, begeistert vom Radfahren und dem Rad, das er gerade fuhr. Mit dem Rennrad rattenschnell heizen, gemütlich zur Kneipe cruisen, moderate Touren mit dem Hightech-Trekkingbike genießen, oder sich im Gelände mit dem MTB etwas Adrenalin zuführen – Radfahren machte ihn irgendwie an.
Doch sein Interesse kippte dann jedes Mal wieder und machte Platz für Genervtheit. Er fand gerade die sportlichen Abteilungen zunehmend anstrengend: der uniforme Individualismus einiger Style-Mountainbiker, die asketische Siegerorientierung seiner Roadie-Kollegen (selbst in der Freizeit) oder technophile Veranlagung orthodoxer Reise- und Alltagsradler – das alles vertrieb Jan vom Fahrradsattel.
Und so stehen nun fünf Räder in einem bedauernswerten technischen Zustand ungenutzt im Keller. Nur ein alter Cyclo-Crosser leistet treu seinen Dienst als Alltagsrad. Doch dann kam Jan latent angeregt zu mir. Er hatte schon länger die Rennräder mit den wuchtig fetten Reifen beobachtet und wollte wissen, was es denn damit auf sich hat. Ich wusste sofort, wovon er sprach: dem Gravelbike.
Klar konnte ich ihn aufklären: „Fahren wo du Lust hast, Straße, Gelände, Schotter da gibt es keine Ausrede oder Grenze. Anstrengung und Geschwindigkeit wie du willst“ und Bikepacking beschrieb ich ihm als Abenteuer-Variante der Radtouristik mit Suchtfaktor.
Es war kaum zu bemerken, aber da war was: ein Blitzten in seinen Augen und ich war mir sicher: eine neue Liebe war im Anmarsch.
Und ich selber verstand „Gravel“ auf einmal auch neu: Gravel bedeutet Freiheit. Untergrund ist egal und Gruppenzwang hat hier nix zu melden. Es wird gefahren wie, wo und mit wem man gerade will.
Zwei Wochen später sprach Jan mich an, wo er sich ein Rad besorgen könnte. Da er in Hamburg lebt, empfahl ich ihm einen kleinen, aber feinen Radladen mit klasse Werkstatt, dessen Chef ich persönlich kenne und wusste, die machen ordentliche Arbeit zu fairen Preisen.
Drei Tage später erzählte Jan mir dann die Neuigkeit: er hatte schon alles bestellt, und sein Highend-Gravelbike sollte Realität werden: Cannondale-Rahmen, SRAM-AXS-Funkgruppe, Zipp-Laufräder mit obligatorischen WTB-Schluffen und jede Menge Zubehör. „Das ist mal eine Ansage“, dachte ich laut und wollte von ihm wissen, ob ich daraus nicht eine kleine Story für Fahrzeit machen könne, vielleicht sogar mit einem kleinen Video. „Kannst du machen, aber ich gehe nicht ins Bild – meine Figur soll so nicht in die Öffentlichkeit. Da muss ich erst noch etwas fahren.“
„Das trifft sich gut – muss ich auch“, meinte ich und fühlte meinen Rettungsring, ohne ihn zu spüren.

Ach ja: hatte ich erwähnt, dass ich mir auch ein Gravelbike zugelegt habe? Allerdings in einer reduzierteren Version: netter Fairdale-Stahlrahmen, WTB-Laufradsatz und ‑Reifen, SRAM-Rival-Schaltung und hydraulische Scheibenbremsen.
Dazu habe ich mir noch einen SON-Nabendynamo mit passender Beleuchtung und einen Cinq PlugIII zur Stromversorgung gegönnt. Es kann los gehen.
Stan