Text: Paul Errington
Übersetzung: H. David Koßmann
Fotos: Chris McClean
Es sind die Highlights, jene Momente der Verwunderung und Ehrfurcht, mit denen unser Geist ordnet, was wir als erinnerungswürdig von unseren Reisen mitbringen. Die Strecken zwischen den Highlights verlieren sich oft in Kleinigkeiten, aber die prägenden Eindrücke bestimmter Begegnungen, Ausblicke oder auch Gefühle werden zu einem Teil von uns.

Oftmals wird die Idee für eine Reise durch die Empfehlung eines Freundes ausgelöst oder durch die Begegnung mit einem solchen Highlight, das jemand anders erlebt hat – einem Bild von oder einem Text über die Erfahrung an einem bestimmten Ort. Im Hinterkopf wächst dieser Eindruck dann wie ein Samen und wird zum gesteigerten Interesse. Manchmal steuert man ein solches Highlight immer und immer wieder in Gedanken an – es wird zum Bildschirmhintergrund oder wandert als Ausschnitt an den Kühlschrank und wird so zur Quelle der Inspiration. Dieser eine Wunsch, diese Reise kann jahrelang in uns überleben.

Ein solches einzelnes Bild war es auch, das uns zu dieser Reise auf die Färöer inspirierte. Wäre das Motiv nicht von unzähligen Reisenden aufgenommen worden, wir hätten seine Echtheit bezweifelt: Ein See thront ruhig über einer steilen Klippe, unter der das wilde Meer tost. Ein derart unglaubliches Bild, dass man es unbedingt selbst erleben will. Also planten wir diese Reise. Als Trio wollten wir diesen erstaunlichen Ort erradeln: Fiola Foley von Komoot, Filmer Chris McClean und ich.

Wasserfälle & winzige Dörfer
Die Färöer sind ein Archipel von 18 bergigen Inseln vulkanischen Ursprungs, deren dramatische Formation sich vor über 58 Millionen Jahren aus dem Atlantik erhoben hat. In der Mitte zwischen Island, Norwegen und Schottland gelegen, lassen sich auch landschaftlich, kulturell und klimatisch deutliche Verbindungen zu diesen Ländern ziehen. Die Färöer sind eine Zwischenwelt, ihre Bewohner, die Färinger, die längste Zeit auf sich gestellt.

Die Bevölkerung zählt gut 50.000 und lebt zumeist in kleinen Dörfern – deren Lage durch die natürlichen Gegebenheit oder die Industrie vorgegeben wird. Zwischen diesen Dörfern ist das Land unerschlossen, was sicherlich zu dem Gefühl absoluter Abgeschiedenheit beiträgt, das den Charme der Färöer ausmacht.
Das Highlight, das wir zuerst finden wollen, ist ein Wasserfall, der aus dem größten Frischwassersee der Färöer herausfließt, dem Sørvágsvatn, der aus offensichtlichen Gründen auch „der See über dem Meer“ genannt wird. Die Route unserer fünftägigen Radreise entstand mit Hilfe ortskundiger Experten und gleich am ersten Tag sollten wir diesen magischen Ort erreichen.

Schon als wir an diesem Tag starteten, wollte das Wetter sich partout nicht an die Vorhersage halten – und nachdem der Regen erst losging, wurde er stetig stärker. Und Färöer im Regen ist definitiv authentisch – man würde sich irgendwie betrogen fühlen, wenn man dort nicht alle Wetter mal erlebt hätte.
Wir fuhren einige der wichtigsten Sehenswürdigkeiten an diesem Tag an – und hoben uns den berühmten See für den Schluss auf. Hauptsächlich fuhren wir auf Asphalt, weshalb wir nicht nur von oben, sondern auch vom Spritzwasser unserer Reifen komplett durchgeweicht waren. Die meiste Zeit fuhren wir hintereinander, versunken in unsere Gedanken und darauf erpicht, soviel Landschaft wie möglich in uns aufzunehmen und dafür den Regen zu ignorieren.


Bereits am ersten Tag erlebten wir sagenumwobene geologische Besonderheiten und einen dramatischen Wasserfall, der über eine steile Klippe ins Meer stürzt. Die Färöer lieferten landschaftlich schon ganz gut ab!
Fast hatten wir die lockende Trockenheit und Wärme unserer Unterkunft erreicht, da tat sich vor uns ein steiler asphaltierter Stich auf, der zum Eingang eines Wanderwegs führte, auf dem wir unseren See erreichten. Das Wetter war nun zwar gnädiger, aber tief hingen die Wolken, wie fest verbunden mit den höheren Gefilden.

Der Wanderpfad war durchweg in gutem Zustand, fester Schotter, unterbrochen nur von zahllosen Wasserläufen. Während wir uns See und Klippen immer weiter näherten, wurde der Weg weicher und schlammiger und forderte uns auf dem letzten Stück noch einmal wirklich heraus.
Jede Dringlichkeit, die uns an diesen Ort gezogen hatte, löste sich auf, als seine geologische Besonderheit endlich wirklich auf uns wirkte.
Wir waren uns zunächst gar nicht sicher, ob wir den richtigen Aussichtspunkt gefunden hatten – zu viele im Netz entdeckte Bilder hatten sich in unseren Köpfen überlagert. Der echte Anblick des ins Meer stürzenden Bøsdalafossur-Wasserfalls passte überhaupt nicht zu unserer Vorstellung – wenn auch das wirkliche Bild nicht weniger wirkungsvoll war, als uns die Erwartung verhieß …

Foto vs. Realität
Die Wirklichkeit dieses spektakulären Ortes war jede Zeit wert, die wir uns für ihn nehmen konnten. Auch wenn die Bedingungen alles andere als ideal waren, nutzten wir alle erdenklichen Wege, den Anblick in uns aufzunehmen. Am höchsten Punkt fanden wir auch die Aussicht, die so oft vor uns fotografiert worden war – hier hielten auch wir unsere Eindrücke mit diesem Besuch fest.
Das Meer hat die Klippen an dieser Stelle so weit in den Berg hinein ausgespült, dass Fiola und ich auf der einen Seite direkt an der Kante entlang fahren konnten, während Chris, waghalsig positioniert, von der anderen Seite unser eigenes unvergessliches Highlight festhielt.


Unser eigenes digitales Abbild dieses imposanten Anblicks hatte jedoch eine ganz andere Anmutung als die vielen zuvor gesehenen. Weniger fokussiert auf das Spektakel des überhängenden Sees, zeigt unser Bild das ungeheure Ausmaß der Klippen und der Küste, vor dem wir als Radfahrer winzig erscheinen.
Das Bild, das wir festgehalten haben, steht für uns stellvertretend für die Bedeutung von Reisen, die einzigartige Erfahrungen und Eindrücke ermöglichen. Denn allzu leicht übersieht man die Chance, etwas zu erleben, wenn man ständig nur nach dem Unbekannten sucht.

An diesem von tausend Fotos wohlbekannten Ort haben wir trotzdem etwas Neues gefunden. Wir können durch die Medien so Vieles durch die Augen von anderen betrachten – aber es dabei zu belassen, verschlösse einem die Möglichkeit, den Ort auf eine neue, eigene Weise zu interpretieren. Ein Highlight ist eine Stecknadel in unserer inneren Landkarte – aber es ist auch eine Einladung für andere, sich ihre eigene Erinnerung zu verschaffen.
Und so verließen wir diesen Ort dankbar – all jenen, die uns zu dieser Reise inspirierten und mit der Hoffnung, dass unser Highlight wiederum inspirierend genug ist, dass andere ihm folgen würden.
Dieser Artikel erschien im englischen Original im Bikepacking Journal, Ausgabe 01.